Die beste Pfingstpredigt wurde ja schon vor langer Zeit gehalten, nämlich von Petrus höchstpersönlich. Anschließend an das Pfingstwunder – der Ausgießung des Hl. Geistes – hält dieser wohl die Predigt seines Lebens: „Leute, diese Jünger und Jüngerinnen sind nicht betrunken, wie ihr vielleicht denkt. Vielmehr erfüllt sich hier das Wort des Propheten Joel, dass nämlich der Hl. Geist auf alles Fleisch ausgegossen werden wird und Zeichen und Wunder geschehen werden“ (vgl. Joel 3,1–5).

Mit Sturm und Brausen

Petrus macht den neugierigen und wohl auch skeptischen jüdischen Passanten klar: „Derjenige, den ihr gekreuzigt habt, ist von den Toten auferweckt worden und sitzt nun zur Rechten Gottes; von dort her hat er heute seinen Geist – und d.h. konkret: seine Auferstehungskraft – über die Jünger und Jüngerinnen und damit auch über die ganze Welt ausgegossen. Und deshalb geht jetzt hier die Post ab!“

Was soll man dieser genialen Botschaft noch hinzufügen? Eigentlich nichts. Das ist Pfingsten erklärt in 29 Versen. Um diese Kürze und Würze der Worte des Petrus zu bewahren, verzichte ich vorerst auf eine weitere Auslegung und Kommentierung des Pfingstwunders aus Apg 2. Meine heutige „kleine Pfingstpredigt“ möchte ich also mit einer anderen Erzählung beginnen lassen:

„Als nun der dritte Tag kam und es Morgen ward, da erhob sich ein Donnern und Blitzen und eine dichte Wolke auf dem Berge und der Ton einer sehr starken Posaune. Das ganze Volk aber, das im Lager war, erschrak. Und Mose führte das Volk aus dem Lager Gott entgegen, und es trat unten an den Berg. Der ganze Berg Sinai aber rauchte, weil der HERR auf den Berg herabfuhr im Feuer; und sein Rauch stieg auf wie der Rauch von einem Schmelzofen, und der ganze Berg bebte sehr.“

(2 Mose 19,16.18)

In bemerkenswerter Ähnlichkeit zum Pfingstwunder wird hier die Begegnung zwischen Gott und Mose auf dem Berg Sinai beschrieben, dem Ort, an dem Mose für das Volk Israel die 10 Gebote von Gott in Form von zwei Steintafeln empfangen hat. Bereits auf der Wort- bzw. Bildebene des Textes lassen sich hier interessante Parallelen zum Pfingstwunder in der Apg beobachten:

„Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich zerteilten und sich auf jeden von ihnen setzten.“

(Agp 2,2–3)

An beiden Stellen ist von einem „Sturm“, der die Menschen umgibt, und einem „Feuer“, das auf die Menschen herunterkommt, die Rede. Beide Passagen scheinen – trotz der großen Zeitspanne, die zwischen ihnen liegt – aufeinander bezogen zu sein. Und das sind sie auch! Um die Gemeinsamkeiten zwischen dem Bundesschluss auf dem Berg Sinai (Ex 19) und dem jüdischen Pfingstfest (Apg 2) noch besser nachvollziehen zu können, versetzen wir uns am besten für einen Moment hinein in das Denken eines im 1. Jh. lebenden Juden, der natürlich auch die ganze Story rund um Jesus miterlebt hat. Im jüdischen Denken und Leben ist das Pfingstfest nämlich der 50. Tag nach dem Passahfest. Einerseits findet an diesem Tag ein riesengroßes Erntedankfest statt – alle Bauern bringen die erste Ernte ihrer Felder vor Gott als Zeichen ihrer Dankbarkeit. Im jüdischen Sprachgebrauch nennt man dieses Fest „Schawuot“. Gleichzeitig klingt aber in den Ohren eines Juden im 1. Jh. noch etwas viel Größeres an, wenn er das Passahfest und das Pfingstfest feiert. An beiden Festen erinnert er sich nämlich an ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte Israels, nämlich an den großen Exodus.

Erinnerung an Gottes (alten und neuen) Bund

Exodus heißt übersetzt „Auszug“ oder „Ausgang“ und beschreibt den großen Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, wo sie unter der Herrschaft des Pharaos unterdrückt wurden und in Gefangenschaft lebten. Am damaligen Passahfest hat das Volk auf Anweisung des Mose Lämmer geschlachtet und das Blut an ihre Türpfosten gestrichen, damit der Todesengel an ihnen vorüberziehen würde und sie verschont bleiben würden. Noch in derselben Nacht ist das Volk Israel aus Ägypten heraus in die Wüste gezogen. Und dort – ganz interessant:50 Tage nach dem Passahfest – kamen sie zum Berg Sinai, auf dem Gott seinem Volk die 10 Gebote gegeben hatte.

Wie also Mose an diesem 50. Tag auf den Berg Sinai hinaufgestiegen und dann wieder heruntergekommen ist mit Gottes Gesetz auf zwei Steintafeln in der Hand, so ist auch ganz ähnlich Jesus in den Himmel hinaufgestiegen (Christi Himmelfahrt) und dann zu Pfingsten wieder heruntergekommen, aber nicht mit Gottes geschriebenen Gesetz, sondern mit Gottes lebendigem Geist, der nicht auf Steintafeln, sondern auf die „fleischernen Tafeln unseres Herzens“ geschrieben ist, wie wir im 2. Korintherbrief lesen. Pfingsten ist also eine Erinnerung des Bundes zwischen Gott und uns Menschen, den er damals auf dem Berg Sinai mit seinem Volk geschlossen hat. Pfingsten ist aber auch eine Erneuerung dieses Bundes, denn zum einen bekommen wir Menschen nicht einfach irgendwelche neuen und weiteren Gesetzestafeln, die es zu befolgen gibt, sondern Gottes lebendigen Geist; und zum anderen gilt die damalige Verheißung, Salz und Licht für die Welt zu sein, nicht nur exklusiv dem Volk Israel, sondern jetzt neu seit Pfingsten allen Jünger und Jüngerinnen Jesu.

Gleichzeitig ist aber auch die Ausgießung des Hl. Geistes zu Pfingsten die erste Frucht oder Ernte der Himmelfahrt Jesu Christi – in diesem Sinne ist Pfingsten also doch eine Art Erntedankfest; aber Moment einmal – eine Ernte der Himmelfahrt Jesu Christi? Wie ist das denn zu verstehen?

Nun ja: die Kraft und Power, die zu Pfingsten im Hl. Geist über die Apostel kommt, ist eben auch genau dieselbe Kraft, in der Jesus im Himmel zur Rechten Gottes sitzt und regiert. D.h. also – und das ist eigentlich die Kernmessage an Pfingsten –: indem wir als Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu Christi den Hl. Geist empfangen, haben wir auch Anteil an der Vollmacht Gottes und Herrschaft Jesu Christi. Das Ziel zu Pfingsten war und ist es nicht, dass Gott seinem Volk wieder wie beim Berg Sinai irgendwelche Vorschriften oder einfach irgendeine spezielle spirituelle Heiligkeit gibt, durch die sie jetzt immun gegenüber der Welt sind und sich um nichts mehr kümmern müssen. Nein! Zu Pfingsten geht es vielmehr darum, dass wir alle, gemeinsam mit dieser Welt, mit der himmlischen Kraft Gottes im Hl. Geist transformiert werden und d.h. gleichzeitig befähigt werden für unseren Auftrag in der Welt, am Reich Gottes zu bauen.

Dem Heiligen Geist in unserem Leben Raum geben

Ganz konkret stellt uns Pfingsten also immer wieder vor die herausfordernde Frage: Sind wir auch wirklich bereit, am Reich Gottes mitzubauen und unser Leben vom Hl. Geist verändert zu lassen? Es sei nochmals daran erinnert, dass Pfingsten nicht einfach eine „Wohlfühldusche“ für „Warmduscher“ ist! Der Sinn von Pfingsten liegt in der konkreten Aufforderung, gestärkt durch den Hl. Geist, unser Leben radikal auf Gott auszurichten und im Kleinen anzufangen, Reich Gottes auf dieser Welt zu bauen.

Damit verbunden eröffnet sich noch eine zweite Frage: Wie können wir aber jetzt konkret dem Hl. Geist in und mit unserem Leben Raum geben? Auf welche Weise können wir ganz konkret den Hl. Geist empfangen und die Welt verändern?

Nach einer einfachen und abschließenden Antwort auf diese Frage zu suchen wäre von Anfang an illusorisch und irreführend. Blicken wir jedoch noch ein letztes Mal auf unseren heutigen Bibeltext in Apg 2, so sehen wir, dass dort diese durch den Hl. Geist bewirkte Transformation und Veränderung zu Pfingsten bei den Aposteln und Apostellinnen begonnen hat, die sich zum gemeinsamen Gebet versammelt haben. Der zweite Vers dieses Kapitels sagt uns etwas äußerst Wichtiges: der Hl. Geist offenbart sich hier einer konkreten Gemeinschaft, und nicht jemand einzelnen. „Den Hl. Geist empfangen“ und „gemeinsam beisammen sein“ gehören zusammen und können nicht voneinander getrennt werden. Man könnte den Vers sogar etwas zugespitzter dahingehend verstehen, dass die Voraussetzung für das Empfangen des Hl. Geistes die Gemeinschaft ist. Wenn wir keine Gemeinschaft haben, dann werden wir auch keinen Hl. Geist empfangen.

Wenn wir vom Hl. Geist reden und der Art, wie er sich uns offenbart, dann ist es doch so, dass wir meistens direkt an die großen, offensichtlichen Manifestationen denken, also bspw. an Heilungen, Wunder, prophetische Eindrücke und Worte oder auch an solche Momente, an denen unser eigener Körper vom Hl. Geist berührt wird und zu schütteln oder sonstiges beginnt. Solche Dinge bezeichnen wir oft als „übernatürlich“ und möchten damit sagen, dass immer dann, wenn der Hl. Geist wirkt, etwas außerhalb unserer rationalen Denkmöglichkeiten vor sich geht; das Wirken des Geistes wird von uns häufig als etwas beschrieben, das wir nicht erklären können und für unser Denken irgendwie nicht „normal“ oder eben nicht ganz „natürlich“ zu sein scheint.

Das wunder-bare Wirken des Heiligen Geistes im Natürlichen

Dabei erwischen wir uns oft, dass wir gerade dadurch, dass wir den Hl. Geist und das Wirken Gottes auf keinen Fall rationalisieren oder bis ins letzte Detail begreifen wollen, eben doch genau das machen, wenn wir nämlich das Wirken Gottes bzw. des Geistes als über-natürlich im Unterschied zum menschlichen Wirken als natürlich voneinander unterscheiden. Am Schluss haben wir wieder Gott, den Hl. Geist und alle Zeichen und Wunder etc. in die Schublade „Übernatürlich“ hineingesteckt und damit auch gleichzeitig dem „Natürlichen“ sein Potential für Gottes Wirken entzogen. Dabei möchte sich doch der Hl. Geist auch gerade im Kleinen, Natürlichen, Alltäglichen uns Menschen offenbaren. Indem wir immer nur die großen Zeichen und Wunder vor Augen haben und uns zu sehr nach dem „Übernatürlichen“ sehnen, verpassen wir dabei oftmals das Wirken des Hl. Geistes im „Natürlichen“. C. S. Lewis – ein britisher Schriftsteller und Literaturwissenschaftler – hat mal irgendwo gesagt: „Das größte Wunder ist das Aufblühen einer Blume im Frühling“ und wollte damit auf Gottes wunder-bares Wirken im Natürlichen hinweisen. Der Geist wirkt auch – und vielleicht sogar häufiger, offensichtlicher und stärker – in den natürlichen, vielleicht weniger spektakulären Sachen, wie bspw. in unserer Einheit, im Frieden, in der Versöhnung, in der Vergebung, in der Geduld, aber auch z.B. in der gegenseitigen Ermahnung.

Ebendiese „Früchte im Geist“ klingen für unsere Ohren vielleicht eher langweilig – Gemeinschaft, Einheit usw. – das „christliche 1×1“ halt… Und ja, natürlich ist es spektakulärer, für jemanden zu beten und zu sehen, wie dieser Mensch geheilt wird; oder Eindrücke für Menschen zu haben, die sich dann für ein Leben mit Gott entscheiden. Natürlich sind diese Dinge spannender und attraktiver für mich – aber eben: genau das ist ja dann oftmals die Gefahr, dass es bei all diesen Dingen dann doch ziemlich fest um mich geht: Was erlebe ich mit dem Hl. Geist? Wann wird endlich jemand durch mich geheilt? Was habe ich heute für prophetische Bilder und Eindrücke?

Letztlich sollte es ja aber einzig und alleine darum gehen, wie ich mein Leben von Gott so sehr verändern lassen kann, damit der Hl. Geist (und nicht ich!) durch mich durchfließen kann und sein Werk auf dieser Welt vollbringen kann.

Ich bin überzeugt, dass der Hl. Geist – gleich wie der damals über die Apostel und Apostellinnen gekommen ist – auch über uns als Gemeinschaft in unserem ganz „natürlichen“ und alltäglichen Zusammenleben hineinkommen möchte! Und ganz konkret geschieht das dort, wo wir uns üben im einander Vergebung und Versöhnung auszusprechen; wo wir immer mehr versuchen, um Einheit zu ringen; wo wir beginnen, uns gegenseitig zu ermutigen oder zu ermahnen. All diese Dinge bedeuten Arbeit – aber es ist eine „Arbeit, die nicht vergeblich ist für den Herrn“ (1Kor 15,58).

Mein heutiges Pfingstgebet ist es, dass der Hl. Geist neu mit seinem frischen Wind in unsere Gemeinschaft hineinbläst und unser Zusammenleben, unsere Beziehungen und unser Miteinander nochmals auf eine viel tiefere Ebene bringt. Dass wir eine Gemeinschaft werden können, die Versöhnung, Vergebung, Ermahnung und Erbauung ganz konkret zu leben beginnt und so in der Welt zu einem sichtbaren Zeugnis für Gottes Liebe werden kann. Amen.

Fragen für die persönliche Reflexion:

1. Möchtest du gerne diese Einladung an Pfingsten annehmen und in der Kraft des Hl. Geistes am Reich Gottes und der Veränderung/Transformation der Welt und uns Menschen mitarbeiten?

2. Wo sehnst du dich oft zu sehr nach dem Übernatürlichen (nach den großen Zeichen und Wundern) und verpasst dabei oftmals das Wirken des Hl. Geistes im Natürlichen (in den alltäglichen, vielleicht weniger spektakulären Sachen)?

3. Wo brauchst du Vergebung/Versöhnung? Wo brauchst du aktuell eine Ermutigung oder eine Ermahnung, um dran zu bleiben?

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